Behindert.
Autor und Musikpädagoge Stefan Köhler arbeitet seit einigen Jahren in der Wohn- und Förderstätte Julius von Pflug in Schelkau, die zur Unternehmensgruppe der Caritas-Trägergesellschaft St. Mauritius gehört. In den vergangenen Jahren hat er schon oft Kunst in die Öffentlichkeit gebracht, die nicht nur mit behinderten Menschen stattfindet, sondern durch sie inszeniert ist. So auch in diesem Stück, das von der künstlerischen Vielfalt den bisherigen weit voraus ist. "Alles, was heute Abend hier auf der Bühne stattgefunden hat, stammt allein von den Protagonisten. Ich habe es nur zusammengetragen und arrangiert", sagt Köhler. Zur Unterstützung und Erweiterung hat er sich professionelle Musiker vom "Generationen Symphonie Orchester" und der Trommeleventgruppe "redATTACk" geholt.
Gemeinsam räumen sie an diesem lauen Spätsommerabend auf der Schlossparkbühne der Moritzburg auf mit Klischees und Ressentiments. Zwischen Klassik, Folk, Chanson, Techno und Rap bewegen sich die Musiker und Schauspieler, erzählen ihre Geschichte vom Suchen und Finden. "Ich will das, was du auch willst!", war der Ausspruch einer Bewohnerin, den sie in einem Streit aus tiefsten Herzen hervorbrachte. Für Stefan Köhler der Ursprung des Stücks: "In unserem Bühnenwerk haben wir diese Gedanken zum Wollen und Sein als zentrales Thema genommen." Man habe sich bewusst für diesen provokanten Titel entschieden, um einerseits auf gängige Klischees anzuspielen und zum anderen um das Publikum auf Blickwinkel hinzuweisen, die durch eben diese Vorurteile behindert sind. "Das Bühnenwerk befasst sich mit den Erlebniswelten der unterschiedlichen Protagonisten. Diese existieren zunächst nebeneinander und versuchen sich durch ihre Andersartigkeit voneinander abzugrenzen. Die Inszenierung spiegelt die Distanz zwischen den einzelnen Welten wieder und verdeutlicht sie auf diversen Ebenen", beschreibt der Musikpädagoge.
Doch man findet sich auf der Bühne, es werden gemeinsame Schnittmengen erkannt und gelangt nach einem dramatischen Intermezzo zu einem harmonischen Nebeneinander. Nicht alle Fragen werden beantwortet, nicht alle Unterschiede gleichgemacht. Andersartigkeit wird als Chance für kreative Lösungen verstanden.
Das Publikum zeigte sich begeistert. Rasender Applaus und bewegte Gesichter. Songs wie "Ey, bist Du nicht der Bischof?" oder "Schweigen, das heißt reden", sind anspruchsvoll inszeniert und werden überzeugend dargeboten. 89 Mitwirkende auf einer Bühne - auch logistisch eine Herausforderung, die alle gemeinsam hervorragend gemeistert haben. Nach dem Stück spricht ein Gast den Regisseur an, lobt die Darbietung und ergänzt, dass auch er einen behinderten Sohn habe. Stefan Köhler entgegnet: "Hier waren heute Abend keine Behinderten auf der Bühne, nur Schauspieler und Musiker!"